Die vier Textquellen gehören zum Modul Parlamentsarbeit in der Paulskirche
Nur von zwei der vier Abgeordneten finden sich Portraits
Quelle 1 | Theodor Paur (1815-1892, Historiker und Philologe): Brief (Empfänger wird nicht genannt) vom 20. Mai 1848 | zitiert nach: Theodor Paur, Briefe aus der Paulskirche von Theodor Paul 1848/49, 1919 Berlin, S.2f.
Der Anfang der Sitzung selbst oder vielmehr die ganze erste Sitzung – mochte die Hoffnung mancher niederschlagen. Es war der Fehler begangen worden, aus Pietät den Ältesten der Versammlung [Dr. Lang] vorläufig präsidieren zu lassen. Seine Worte waren zu schwach, um verstanden zu werden; auch die Deputierten konnten von der Tribüne herab nur halb oder gar nicht aufgefaßt werden; das Volk auf den Galerien mischte zu wiederholten Malen seinen tobenden Ruf ein: Es entstand ein so schaudervoller, herzzerreißender Lärm in der Versammlung, eine solche Verwirrung, daß mir nicht wohl dabei wurde. Und alles Geschrei bezog sich auf Formen, freilich auf solche, die notwendig erst festgestellt werden müssen, ehe etwas Rechtes geschehen kann. Ich kam sehr niedergedrückt in meine Wohnung. […] Ganz anders aber war es gestern. Der Alterspräsident legte sein Amt nieder. Als neuer provisorischer Präsident wurde mit großer Stimmenmehrheit der bekannte, ja berühmte Staatsminister von Gagern erwählt. Seine Wahl war in mehreren Klubversammlungen vorbereitet worden. Es scheint ein ausgezeichneter Mann von energischer Kraft und wahrhafter Würde des Charakters zu sein. […] Alle Anwesenden fühlten sich in anderer Verfassung als Tages vorher: es herrschte durchaus Ordnung, Ruhe und doch in den Reden ein freier Geist.
Quelle 2 | Carl Gottlieb Fuchs (1801-1855, Jurist): Brief an seine Familie vom 27. Mai 1848 | zitiert nach: Carl Fuchs, Parlaments-Briefe aus Frankfurt am Main 1848-1849, Breslau 1875, S. 8
Die Versammlung zählt eine Anzahl von Professoren und Juristen in ihrem Schoße. Erstere können das Reden nicht satt kriegen, letztere klauben und mäkeln an jedem Wort. Zu einem heute auf der Tagesordnung befindlichen Vorschlag sind nicht weniger als dreißig Verbesserungsanträge eingegangen, die sich meist auf Wortklauberei stützen. Die Sprechsucht ist unerträglich. Die Selbstverleugnung: zu schweigen, wenn ein Anderer schon dasselbe gesagt hat, ist noch äußerst selten. Geht es so fort, so sitzen wir übers Jahr auch noch hier. Dass wir vor dem 1. Oktober von hier wegkommen bezweifle ich jetzt schon.
Quelle 3 | Robert von Mohl (1799-1875, Jurist): Lebenserinnerungen | zitiert nach: Robert von Mohl, Lebenserinnerungen (hrsg. von Dietrich Kerler), Bd. 2, Stuttgart/Leipzig 1902, S. 34f.
Dass die Reichsversammlung […] in der Paulskirche ihre Sitzungen hielt, ist weltbekannt. Das Gebäude hatte manche gute Eigenschaften, aber auch unzweifelhaft, als zu einem ganz anderen Zwecke errichtet, große Mängel. […] Von Lokalen für Ausschüsse war gar keine Rede; diese waren in der Stadt, zum Teile in ziemlichen Entfernungen, gemietet. […] Allein nicht einmal der Präsident oder das Ministerium hatten Sprechzimmer, so dass eine Beratung oder schnelle Besprechung in freier Luft auf dem Paulsplatze bei jeder Witterung stattfinden musste. […] Störend und in den Folgen unanständig erwies sich, dass kein Raum für Erfrischungen im Hause selbst eingerichtet werden konnte. Solche zu genießen war aber bei den langen, oft sechs bis acht Stunden dauernden Sitzungen für viele ein Bedürfnis. Es blieb nichts übrig als eine der in den benachbarten Gäßchen liegenden Schenken zu besuchen, was denn für das Straßenpublikum den nicht sehr erbaulichen Anblick des Hin- und Herströmens aus dem Sitzungssaale in die Kneipe und umgekehrt zur Folge hatte.
Quelle 4 | Wilhelm Wichmann (1820-1888, Jurist): Erinnerungen an seine Zeit als Abgeordneter in der Paulskirche | zitiert nach: Wilhelm Wichmann, Denkwürdigkeiten aus der Paulskirche, Hannover 1888, S. 130f.
Der eleganteste, vornehmste von allen Klubs war selbstverständlich der aristokratische (am Roßmarkt neu errichtete) „Cafe Milani“, in welchem auch die feingeselligsten Formen vorherrschten. Die Zigarre war hier verbannt, ebenso die Erfrischung während der Beratungen, die dann aber auch nach dem Schluß an Feinheit und Exquisität nichts zu wünschen übrigließen. Weniger aristokratisch, aber ebenfalls gemessen in den äußeren Formen, zeigte sich das „Casino“ . Die Zigarre war hier zugelassen, aber die Restauration während der Diskussion nicht. […] Schon im „Landsberger“ und „Augsburger Hof“ erklang mitten in die Beratungen hinein das Klappern und Klingen der Gläser und Teller; im „Württemberger Hof“ , wo man in einem schmalen Saal dichtgedrängt beisammensaß, pflegte man sich’s an heißen Sommerabenden auch mit der Kleidung bequem zu machen, warf Rock und Halstuch ab; einem Fremden erschien die sich so ungeniert bewegende Versammlung weit eher als ein Studentenkommers* als ein Komitee von Volksvertretern.
*Studentenkommers = Feier von Studenten