„Die Pflicht, die Freiheit des Einzelnen einzuschränken“? | Impfpflicht im Kaiserreich

Kaiserreich und Imperialismus | Modul 8 | Verstehen und urteilen | Gegenwartsbezug | Pandemie | ◻◻◻ schwer | ca. 90 min

Demetrio Cosola: La vaccinazione nelle campagne (Impfung auf dem Lande), Gemälde von 1894 | Bildnachweis (Public Domain via Wikipedia): Bild anklicken

Tipp: Hinweise zum Modul für Lehrer/innen finden sich im Blog  Historisch Denken | Geschichte machen

 

Als Reaktion auf das Coronavirus und die Krankheit Covid-19 wurden weltweit Impfungen zum Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und vor einer weiteren Verbreitung des Virus entwickelt. Die Wirksamkeit ist bei den zugelassenen Impfungen zwar erwiesen und deutlich, doch viele Menschen hegen Skepsis vor einer Impfung.

Um die Pandemie wirksam einzugrenzen, halten Fachleute eine hohe Impfquote von 90 Prozent der Bevölkerung für notwendig. Um diese Impfquote durchzusetzen, diskutieren Öffentlichkeit, Parteien und die im Dezember 2021 angetretene neue Bundesregierung über die Einführung einer Impfpflicht.

Impfgesetz von 1874 | Bildnachweis: Public Domain

Eine Impfpflicht ist allerdings nicht neu. Bereits im Kaiserreich wurde 1874 eine reichsweite Impfpflicht gegen Pocken eingeführt. Diese über Tröpfcheninfektion übertragbare Viruserkrankung ist seit dem 9. Jahrhundert bekannt. Die Krankheit beginnt mit Schüttelfrost und Fieber und endet bei Ungeimpften zu etwa 30 Prozent tödlich, war also weit gefährlicher als Covid-19 mit einer Sterblichkeitsrate von etwa 2 Prozent.

Die Pocken waren auch die erste Infektionskrankheit, bei der erfolgreich eine Impfung durchgeführt wurde. Zur Immunisierung wurden Kuhpocken verwendet, woher auch der englische Name Vaccination stammt (das lateinische Wort vacca heißt Kuh). Bereits 1807 – wenige Jahre nach den ersten Impfversuchen – führte Bayern als erstes Land eine Impfpflicht ein. Langfristig waren die Impfungen erfolgreich, denn seit den 1970er Jahren gelten die Pocken als ausgerottet.

In diesem Modul bewertest du die Auswirkung der Impfpflicht gegen Pocken und arbeitest die Pro- und Contra-Argumente für die Impfpflicht heraus, die 1874 im Reichstag bei der Verhandlung über das Gesetz ausgetauscht wurden.

 

    Aufgaben

    1 | Die folgende Tabelle gibt Auskunft über die Zahl der durch die Pocken getöteten Menschen in Preußen, Bayern und Österreich in den Jahren zwischen 1866 und 1886. Seit 1801 wurde im deutschsprachigen Raum erfolgreich gegen Pocken geimpft. In Bayern wurde die Impfpflicht gegen Pocken 1807 und im Deutschen Reich 1874 (also drei Jahre nach Gründung des Kaiserreichs) eingeführt. In Österreich gab es keine Impfpflicht.

    Beschreibe den Verlauf der Pockenerkrankungen in den drei genannten Ländern. Beurteile, inwiefern sich ein Zusammenhang mit der Einführung der Impfpflicht erkennen lässt.


     

    Tabelle | Anzahl der Toten durch Pocken in Preußen, Bayern und Österreich pro eine Million Einwohner in den Jahren 1866 bis 1886

    Land

    Jahr

    1866

    1868

    1870

    1872

    1874

    1876

    1878

    1880

    1882

    1884

    1886

    Preußen

    620

    188

    175

    2624

    95

    31

    7,1

    26

    36,4

    19,6

    4,9

    Bayern

    120

    190

    75

    611

    47

    13

    13

    12

    12

    6

    1

    Österreich

    386

    370

    293

    1866

    1725

    406

    601

    674

    974

    530

    400

    Siehe hierzu auch das Schaubild bei statista.de | Datengrundlage: Royal College of Physicians: A Concise History of Small-pox and Vaccination in Europe, 1970, S. 87.

     

    2 | Das Gemälde oben (am Anfang dieses Moduls) eines italienischen Malers von 1894 zeigt eine Impfung auf dem Lande. Auch in Italien gab es damals eine Impfpflicht. Die Menschen sind zwar ernst, aber dennoch strahlt das Bild eine friedliche Atmosphäre aus.

    Die folgende Karikatur bereits aus dem Jahr 1802 bringt eine ganz andere Haltung zur Pockenimpfung zum Ausdruck.

    James Gillray: The Cow-Pock—or—the Wonderful Effects of the New Inoculation!, Karikatur von 1802 | Bildnachweis (Public Domain via Wikipedia): Bild anklicken

    Arbeite anhand der Gestaltungsmittel und anhand des Untertitels die Aussageabsicht des Karikaturisten heraus: Ging es ihm darum, die Impfung zu kritisieren oder kritisierte er eine übertriebene Furcht vor einer Impfung?

     

    3 | Das Gesetz über eine Impfpflicht gegen Pocken im Deutschen Reich trat im April 1874 in Kraft. Zwei Monate zuvor wurde das Gesetz im Reichstag debattiert. In den Quellen findest du zwei Redebeiträge von Wilhelm Loewe und August Reichensperger aus dieser Debatte.

    a) Lies dir zuerst den Auszug der Rede von Wilhelm Loewe durch. Er äußert sich zu verschiedenen Aspekten. Fasse seine Aussagen zu den folgenden drei Aspekten mit eigenen Worten zusammen.

    Notwendigkeit der Impfung

    Einschränkung der persönlichen Freiheit

    Impfkritiker

     

    b) Lies dir anschließend die Rede von August Reichensperger durch. Auch er äußert sich zu verschiedenen Aspekten. Fasse sie zu den folgenden drei Aspekten mit eigenen Worten zusammen.

    Gefahren der Impfung

    Einschränkung der persönlichen Freiheit

    Alternativen zur Impfpflicht

     

    4 | Wähle zwei Argumente von Wilhelm Loewe und August Reichensperger aus Aufgabe 3 aus, die du für besonders wichtig hältst. Bewerte anschließend, ob du die Einführung der Impfpflicht 1874 für sinnvoll oder nicht für sinnvoll erachtest.

    Erstes Argument

    Zweites Argument

    Begründetes Urteil

     

    5 | Bei Demonstrationen gegen Impfungen und die Impfpflicht sieht man heute häufig Fahnen in den Farben Schwarz-Weiß-Rot. Die sogenannte Reichsfahne war die Flagge des Kaiserreichs von 1871 bis 1918.

    Schau dir kurz folgenden Ausschnitt aus dem Video von "Stern TV" über eine Demonstration von Impfgegnern an (etwa bis Minute 3:00). Nimm begründet Stellung zur Meinung der Demonstrantinnen und Demonstranten.


     

     

    Die letzte Aufgabe sollt ihr gemeinsam mit der Klasse diskutieren!

    6 | Schon Wilhelm Loewe stellte fest, dass die Debatte über die Impfpflicht 1874 mit „Lebhaftigkeit, Heftigkeit“ und „mit großem Eifer“ geführt wurde. Auch heute ist die Diskussion hitzig und bringt viele Leute auf die Straße. Nennt Ursachen, weshalb die Impfpflicht kontrovers diskutiert wird. Formuliert Möglichkeiten, um diese Diskussion sachlicher zu führen.

    Im Anschluss könnt ihr das Modul  „Aufhebung des mörderischen Impfgesetzes“? | Impfgegner im Nationalsozialismus  bearbeiten.

    Autor dieses Moduls: Benjamin Reiter, Universität Bamberg

    Stichworte zum Modul Impfgegner | Impfpflicht | Corona | Coronavirus | Covid19 | Pandemie | Seuche | Geschichtsunterricht | Unterricht | Medizin | Nationalsozialismus | NS-Ideologie

    Die Antworten zu den Aufgaben kannst du entweder in deine Geschichtsmappe schreiben – ganz einfach mit Stift und PapierDu kannst die Antworten aber auch in die Textfelder unter den Aufgaben eingeben und anschließend ausdrucken oder als pdf abspeichern. Klicke dafür auf das Drucker-Symbol. Hier erhältst du weitere Informationen