Die Quellen gehören zum Modul Spanische Eroberungen in Amerika
Quelle 1 | Juan Ginés de Sepúlveda | Auszug aus einer Stellungnahme im Disput von Valladolid | „conquista“ bedeutet „Eroberer“
Unter Barbaren versteht man (…) diejenigen, welche nicht in Übereinstimmung mit der natürlichen Vernunft leben und verderbte Sitten haben, die unter ihnen öffentlich gebilligt werden, ob dies nun aus Mangel an Religion kommt, so dass diese Menschen ganz roh aufwachsen, oder aber durch verderbte Sitten und aus Mangel an richtiger Lehre und entsprechenden Strafen. Dass diese Menschen nämlich von geringerer Auffassungsgabe und verderbten Sitten sind, ist durch das Wort nahezu aller, die von dort kommen belegt. (…)
Was seine Behauptung betrifft der Krieg sei gerecht, wenn es sich um die Befreiung der Unschuldigen handle (…) und die Folgen dieses Krieges stellten größere Übel dar als der Tod der Unschuldigen, so ist diese Voraussetzung seiner Gnaden unzutreffend, denn in Neuspanien wurden nach dem Zeugnis aller, die von dort gekommen sind und sich um Kenntnis darüber bemüht haben, jährlich mehr als 20.000 Menschen geopfert. Multipliziert man diese Zahl mit den dreißig Jahren seit der conquista und der Abschaffung dieser Opfer, wären dies schon 600.000. Und ich glaube nicht, dass bei der gesamten conquista so viele umgekommen sind, wie sie in einem Jahr geopfert haben. Durch diesen Krieg vermeidet man zudem den Verlust unzähliger Seelen derer, die durch ihre Bekehrung gerettet werden, jetzt und in Zukunft.
Quelle 2 | Bartholomé de las Casas | Auszug aus einer Stellungnahme im Disput von Valladolid
Die Indios sind von so guter Fassungskraft und so scharfsinnigem Geist, von so großer Auffassungsgabe, so gelehrig für jedwede moralische Wissenschaft und spekulativer Lehre, die meisten von ihnen so wohl geordnet, ausgestattet und vernünftig in der Führung ihres Gemeinwesens, sie besitzen viele überaus gerechte Gesetzte und haben in den Angelegenheiten des Glaubens und der christlichen Religion sich soviel zunutze gemacht sowie in den guten Sitten und bei der Berichtigung der Laster, wo immer sie durch Ordensleute und Menschen von rechtem Lebenswandel unterrichtet worden sind.(…)
Die Behauptung, in Neuspanien würden jährlich 20.000 oder 100 oder 50 Menschen geopfert, entspricht nicht der Wahrheit (…) Daraus spricht nur die Stimme der Tyrannen, um ihre eigenen tyrannischen Gewaltanwendungen zu entschuldigen und zu rechtfertigen und die Indios unterdrückt zu halten, zu schinden und zu tyrannisieren, die nach der reichen Ernte als Sklaven blieben. (…) Der Doktor hat sich verrechnet, denn mit größerem Wahrheitsanspruch und weit zutreffender können wir sagen, dass die Spanier ihrer geliebten und hochverehrten Göttin Habsucht in jedem Jahr, seit sie nach Westindien gekommen und in jede Provinz einmarschiert sind, mehr Menschenopfer dargebracht haben als die Indios all ihren Göttern Westindiens in hundert Jahren. (…) Dabei ist das Land vor unseren Augen größer als Europa samt einem Teil Asiens, jenes Land, das wir seiner Güter und Schätze wegen in fünfundvierzig oder achtundvierzig Jahren mit äußerster Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Tyrannei beraubt, uns widerrechtlich angeeignet, und entvölkert, unfruchtbar gemacht und verwüstet haben.
Beide Quellen: de Las Casas, Bartolomé: Disputation von Valladolid in: Werkauswahl. Hg. v. Mariano Delgado. Bd. 1: Missionstheologische Schriften, Paderborn 1994, S. 336-436.