Mord Quellen

Im Aufbau [März 2025]

Q1 Der Bundestagsabgeordnete Dr. Rainer C. Barzel (CDU/CSU) argumentierte:

Meine Damen, meine Herren, warum machen wir es uns so schwer? Ich will auch darüber einiges offen sagen. Einmal wissen wir alle, daß die Möglichkeiten irdischer Gerechtigkeit begrenzt sind. Justitia und Judicium [Gerechtigkeit und Gericht] sind nicht dasselbe. […] Freiheit oder Unfreiheit, das ist für den Menschen so existentiell wie Wärme oder Kälte, wie Sattsein oder Hunger. Wer immer in der Sonne lebt, kann die Bedingungen des Lebens in Schatten, Kälte und Schnee schwer beurteilen. Hunger kann nur ermessen, wer ihn gehabt hat, es kann ihn nicht ermessen, wer immer satt war.

Sie werden ahnen, daß ich das sage, um zu diesem Satz zu kommen: Wer nie in der Diktatur lebte, hat es schwer, sehr schwer, ihre Bedingungen auch nur zu erahnen. […] Wer nur die reine Luft des freiheitlichen Rechtsstaates kennt — und es ist ein Geschenk für die, die nur das kennen —, der wird leicht mit zu hartem, mit zu ungerechtem, zu lebensfremdem, zuwenig sachkundigem, ja zu grobem Maß die Lebensumstände, die Möglichkeiten und das Verhalten der Menschen in der Diktatur beurteilen.

Wir tun das Unsere, Schaden wiedergutzumachen, unsere freiheitliche Gesinnung glaubhaft darzutun, Verbrechen zu verfolgen und Schuld zu sühnen. Wir rechnen auch nicht auf, wiewohl vielen Deutschen Unrecht geschehen ist. Aber wer den Menschen kennt, weiß, daß der gute Wille, zumal der durch Taten bekundete, konstruktiver Antwort bedarf. […] Unser Land ist ein anderes geworden. Hier ist ein Ort der Humanität, der Freiheit, der Redlichkeit und des Rechts. Deshalb lohnt es sich, wie ich meine, ein Deutscher zu sein. […]

Unsere Geschichte umfaßt mehr als zwölf böse Jahre. Unsere Gegenwart ist rechtlich und sie ist ehrenhaft. Die anstehende Frage, die nur unsere Frage ist, wollen wir beantworten aus Achtung vor uns selbst und aus dem Geist, der Deutschland seit langem auszeichnet, aus dem auch dieser Wiederaufbau und dieses neue gute Deutschland wieder möglich wurde.

 

Quelle: Deutscher Bundestag. 170. Sitzung. Bonn, den 10. März 1965, in: Deutscher Bundestag, URL: https://dserver.bundestag.de/btp/04/04170.pdf, abgerufen am: 22.02.2025, S. 8530-8532.

 

Q2 | Der Bundestagsabgeordnete Martin Hirsch (SPD) argumentierte:

 

 

Q3 | Der Bundesjustizminister Dr. Ewald Bucher (FDP) argumentierte:

Die Gründe meiner Ablehnung einer Verlängerung durch ein rückwirkendes Gesetz wurzeln in Grundfragen des Rechts überhaupt. Wir müssen uns entscheiden, ob wir dem verständlichen Ruf nach lückenloser Sühne für die verabscheuungswürdigen Verbrechen der NS-Zeit folgen oder ob wir dem alten rechtsstaatlichen Satz treu bleiben wollen, dass jedes rückwirkende Gesetz auf dem Gebiete des Strafrechts von Übel ist.  […]

Der materiellen Gerechtigkeit, also dem Bedürfnis nach Sühne [Bestrafung] den Vorrang einzuräumen, kann aber nur dann sinnvoll sein, wenn wir der Überzeugung sein dürften, dass die Verlängerung der geltenden Verjährungsfrist wirklich der Gerechtigkeit zu einem überzeugenden Sieg verhelfen würde. Gerade diese Überzeugung habe ich nicht.

Ich sehe mit Sorge, wie die NS-Verfahren alle Beteiligten, vor allem aber die Gerichte, vor immer unlösbarere Aufgaben stellen. […] Anklage wie Verteidigung sind in einem sonst unbekannten Ausmaß dadurch erschwert, dass wichtige Belastungs- und Entlastungszeugen nicht mehr auffindbar sind, nicht mehr bereit oder in der Lage sind, sich zu erinnern. Die Urkundenbeweise sind oft fragmentarischer Art und erlauben kein umfassendes Bild. Für das Schwurgericht […] wird es immer schwieriger, sich in erforderlichem Maße in die Einzelheiten eines furchtbaren Zeitgeschehens völlig anomaler Art hineinzuversetzen. […] Mit wachsendem Unbehagen bemerkt die Öffentlichkeit, wie selbst in den Fällen, in denen das Gericht zu einem Schuldspruch kommt, das Strafmaß in einem für das Gerechtigkeitsgefühl fast unerträglichen Missverhältnis zu der Schwere der Beschuldigung steht. […]

Aus dieser Situation heraus kommt das ominöse [berüchtigte] Wort: Wir müssen mit Mördern leben. Ein Wort eines Kollegen […], dem ich ungewollt zu Weltgeltung verholfen habe, aber beileibe nicht in dem fahrlässigen Sinne, der mir […] unterstellt wird, war, ich hätte einfach leichthin gesagt: Es macht doch nichts aus, mit einigen Mördern mehr oder weniger zu leben. Der Nachdruck lag vielmehr auf dem „müssen“ ; wir müssen es.

Quelle: Deutscher Bundestag. 170. Sitzung. Bonn, den 10. März 1965, in: Deutscher Bundestag, URL: https://dserver.bundestag.de/btp/04/04170.pdf, abgerufen am: 22.02.2025, S. 8532-8537.