Klosterleben | Quellen

 

Die Quellen gehören zum Modul „… mit der Peitsche lege los!“ | Klosterleben

 

Ekkehard IV. lebte im 11. Jahrhundert n. Chr. als Mönch im Kloster St. Gallen.

Quelle 1 und 2 sind Auszüge aus seiner Klosterchronik, in der er zahlreiche Ereignisse aus dem Alltag des Klosters festgehalten hat.

 

Quelle 1 | Rache an Sindolf

Aus der Zahl der Beleidiger wollen wir einen auftreten lassen. Damit du an dem einen sie alle erkennst, soweit nämlich Satan auf solches Gesindel baut. Dieser eine war der Speisemeister namens Sindolf; zufolge seiner gespielten Ergebenheit wurde er aber zuletzt von Salomo zum Dekan der Werkleute bestellt, wiewohl er im Übrigen zu nichts nütze war, als den Brüdern, Verbrechen zu Last zu legen, die er sich bloß zusammengereimt hatte. […] Und da den Brüdern die Nahrung manchmal vorenthalten oder geschmälert wurde, beschwerten sich viele über das Unrecht. […] Die drei Unzertrennlichen [Tuotilo, Ratpert, Notker] besaßen die Gewohnheit, mit Erlaubnis freilich des Abtes, in der nächtlichen Zeitspanne zwischen den Laudes im Skriptorium zusammenzukommen und Bibelgespräche miteinander zu führen, wie sie einer solchen Stunde wohl angemessen sind. Aber Sindolf, im Bild über Zeit und Zusammenkünfte, schlich sich eines Nachts von außen her an das Glasfenster, an dem Tuotilo saß, heftete sein Ohr an die Scheibe und horchte, ob er etwas erhaschen könne, um es verzerrt dem Bischof zu hinterbringen. Tuotilo ward seiner gewahr, und unerschütterlich und seiner Muskelkraft gewiß wandte er sich auf lateinisch, damit es Sindolf, der nichts hiervon verstand, verborgen bleibe, an die Gefährten: „Jener ist da und hält sein Ohr ans Fenster gedrückt. Aber du, Notker, weil du zaghaft bist, zieh dich in die Kirche zurück! Mein Ratpert dagegen, hole du rasch die Peitsche der Brüder, die im Pyrale hängt, und lauf von außen herzu! So wie ich nämlich merke, du kommst heran, werde ich das Fenster aufreißen, ihn bei den Haaren greifen, und ihn zu mir herziehen und gewaltsam festhalten. Du aber, mein Herz, rüste dich und sei stark, und mit der Peitsche lege los gegen ihn mit allen Kräften und nimm für Gott Rache an ihm!“ Ratpert aber, wie immer leicht entflammt zu Maßnahmen der Zucht, ging unauffällig hinaus, holte dann flink die Peitsche, stürmte hin und züchtigte den Menschen, der mit dem Kopf nach innen gezerrt war, aus Leibeskräften von hinten mit Schlägen wie Hagel. Und siehe, wie Sindolf sich mit Händen und Füßen widersetzte, kriegte er die geschwungene Peitsche zu fassen und hielt sie fest. Aber der andere sah eine Rute ganz in der Nähe, erwischte sie und versetzte ihm die kräftigsten Streiche. Nachdem Sindolf schon übel zugerichtet war, jedoch umsonst um Gnade gebeten hatte, sagte er: „Ich muss rufen“ und brach in lautes Zetern aus. Aber ein Teil der Brüder hörte das Rufen, das zu solchem Zeitpunkt ungewöhnlich erschien; sie eilten mit Lichtern verblüfft herbei und fragten, was denn los sei. Tuotilo aber wiederholte ein ums andere Mal, er habe den Teufel gefangen und bat, ein Licht heranzuhalten, um deutlicher zu erkennen, in wessen Gestalt er ihn ertappt habe.

Ekkehard IV., St. Galler Klostergeschichten, in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein- Gedächtnisausgabe 10, hrsg. von Rudolf Buchner, Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1980, S. 81-83. – abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Verlags (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)

 

Quelle 2 | Auf Reisen

Tatsächlich war er [Tuotilo] ja ein reiselustiger Mann, der Länder und Städte weit herum kannte, und daher schickte man ihn einmal für ein gemeinsames Anliegen nach Mainz, wohl zum Einkauf von wollenen Tüchern, die man Sarewat oder Tuniken nennt. Da er also bei seinem Eintritt in die Stadt unweit des Klosters St. Alban Herberge bezog, schickte er gleich seine Leute um Futter und Proviant zum Markt und setzte sich selber müde auf eine Bank, um ein Weilchen auszuruhen. Es waren aber die Tage der Weinlese, an denen die Brüder zu den Klosterdomänen in den Weinbergen umhergeschickt werden. Und siehe, kaum war das erste Zeichen zur Vesper geschlagen, da kam der Aufseher, der die Brüder sammeln sollte, in frommer Allüre auf einem Esel geritten und näherte sich dem Eingang des besagten Gasthofs, gerade als wenn er auch dort jemanden suche. Insgeheim jedoch ritt er heran, um auszuhorchen, ob seine Gevatterin [Geliebte] zu Hause sei. Aber als jene aus der Kammer trat und den Gevatter begrüßte, wähnte sie, der Gast [Tuotilo] dort schliefe, und brachte dem Manne Most. Der, gar nicht faul, trank ihn aus, und da er den Krug zurückgereicht hatte, kitzelte er die Frau, die sich’s gefallen ließ, am Busen. Doch der Gast hatte den Greuel gesehen, sprang auf, schimpfte jenen laut einen Schurken, griff ihn bei den Haaren und warf ihn zu Boden, und mit der Peitsche, die er zum reiten benutzte und noch in der Hand hielt, schlug er den Mann heftig und setzte hinzu: „Das hat dir der heilige Gallus, Bruder der heiligen Alban, verabreicht!“ Der andere war um seiner Schuld wohl zerknirscht und ließ es über sich ergehen, bat dann aber doch um Tuotilos Verzeihung und darum, ihn gütigerweise nicht bloßzustellen. Da sagte der Gast zu ihm: „Wofern du nur nicht weiter Sünde an Sünde fügst, kannst du, soviel an mir liegt, ruhig unentdeckt bleiben!“

Ekkehard IV., St. Galler Klostergeschichten, in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein- Gedächtnisausgabe 10, hrsg. von Rudolf Buchner, Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1980, S. 91. – abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Verlags (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)