Völkermord an den Herero | Quellen

 

Die drei Textquellen gehören zum Modul „Sie müssen jetzt im Sandfeld untergehen“ | Völkermord an den Herero

 

Quelle 1 | General Lothar von Trotha | Bericht an den Generalstabschef Alfred von Schlieffen | 4. Oktober 1904 

Lothar von Trotha (1848-1920) war nur kurz – von Mai 1904 bis November 1905 – Oberbefehlshaber der Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika. In dieser Zeit verantwortete er die gezielte Vernichtung der Herero. Zwar standen von Trothas Vorgesetzte in Berlin seinem Vorgehen gegen die Herero distanziert gegenüber, sie ließen ihn aber dennoch über anderthalb Jahre gewähren. Lothar von Trotha sandte am 4. Oktober 1904 einen Bericht über den „Herero-Aufstand“ an den Generalstabschef Alfred von Schlieffen in Berlin, dem der folgende Auszug entnommen ist. | zitiert nach: Michael Behnen (Hrsg.): Quellen zur deutschen Außenpolitik im Zeitalter des Imperialismus 1890-1911. Darmstadt 1977, S. 292f. | Portrait Lothar von Trotha: Public Domain (via Wikipedia).

von Trotha
Lothar von Trotha

Es fragte sich nun für mich nur, wie ist der Krieg mit den Herero zu beendigen. Die Ansichten darüber bei dem Gouverneur [Theodor Leutwein] und einigen „alten Afrikanern“ [gemeint sind: bereits länger in der Kolonie stationierte Soldaten der deutschen Schutztruppen] einerseits und mir andererseits gehen gänzlich auseinander. Erstere wollten schon lange verhandeln und bezeichnen die Nation der Herero als notwendiges Arbeitsmaterial für die zukünftige Verwendung des Landes. Ich bin gänzlich anderer Ansicht. Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss, oder, wenn dies durch taktische Schläge nicht möglich war, operativ und durch weitere Detail-Behandlung aus dem Lande gewiesen wird. Es wird möglich sein, durch die erfolgte Besetzung der Wasserstellen von Grootfontein bis Gobabis und durch eine rege Bewegung der Kolonnen die kleinen von Westen zurückströmenden Teile des Volkes zu finden und sie allmählich aufzureiben. […] Da ich mit den Leuten weder paktieren kann noch ohne ausdrückliche Weisung seiner Majestät des Kaisers und König will, so ist eine gewisse rigorose Behandlung aller Teile der Nation unbedingt notwendig, eine Behandlung, die ich zunächst auf meine eigene Verantwortung übernommen und durchgeführt habe, von der ich auch, solange ich das Kommando habe, ohne direkte Weisung nicht abgehe. Meine genaue Kenntnis so vieler zentral-afrikanischer Stämme, Bantu und anderer, hat mir überall die überzeugende Notwendigkeit vorgeführt, dass sich der Neger keinem Vertrag, sondern nur der rohen Gewalt beugt. Ich habe gestern, vor meinem Abmarsch, die in den letzten Tagen ergriffenen Orlog-Leute [aufständische Herero], kriegsgerichtlich verurteilt, aufhängen lassen, und habe alle zugelaufenen Weiber und Kinder wieder in das Sandfeld unter Mitgabe der in Othiherero abgefassten Proklamation an das Volk zurückgejagt. […] Andererseits ist die Aufnahme der Weiber und Kinder, die beide zum größten Teil krank sind, eine eminente Gefahr für die Truppe, sie jedoch zu verpflegen eine Unmöglichkeit. Deshalb halte ich es für richtiger, dass die Nation in sich untergeht, und nicht noch unsere Soldaten infiziert und an Wasser und Nahrungsmitteln beeinträchtigt. Sie müssen jetzt im Sandfeld untergehen oder über die Betschuanagrenze [östlich gelegene britische Kolonie] zu gehen trachten. Dieser Aufstand ist und bleibt der Anfang eines Rassenkampfes, den ich schon 1897 in meinem Bericht an den Reichskanzler für Ostafrika vorausgesagt habe.

 

 

Quelle 2 | Ludwig von Estorff | Tagebucheintrag: „Der Herero-Aufstand“ | Zeitpunkt des Tagebucheintrags nicht eindeutig

Ludwig von Estorff (1859-1943) war Offizier und zeitweilig Kommandeur der Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika. Er war erstmals 1894 in die Kolonie gekommen und zählte deshalb zu den „alten Afrikanern“ (wie sich Lothar von Trotha oben ausdrückt). Ludwig von Estorff führte ein Tagebuch, das erst viele Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurde und aus dem der folgende Textauszug stammt. |  Ludwig von Estorff: Wanderungen und Kämpfe in Südwestafrika, Ostafrika und Südafrika 1894-1910 (Hrsg.: Christoph-Friedrich Kutscher) Windhoek 1968, S. 116f. | Portrait Ludwig von Estorff: Public Domain (via Wikimedia)

Ludwig_von_Estorff
Ludwig von Estorff

Die Abteilung Heyde [Name eines Offiziers] ward mir unterstellt und mir aufgegeben, den Rückzug der Herero, den großen Omuramba, d.h. das große Flussbett südlich vom Waterberg abwärts, nach Osten zu verhindern. Es gelang mir durch einen Gewaltmarsch mich ihnen dort an einem großen Regenteiche vorzulegen und sie in einem Gefecht zurückzuschlagen. Nun waren sie genötigt, wieder südlich abzubiegen, aber diesmal durch einen großen Durstmarsch, auf dem sie viel Vieh verloren, ich folgte ihren Spuren und erreichte hinter ihnen mehrere Brunnen, die einen schrecklichen Anblick boten. Haufenweise lagen die verdursteten Rinder um sie herum, nachdem sie diese mit letzter Kraft erreicht hatten, aber nicht mehr rechtzeitig hatten tränken können. Die Herero flohen nun weiter vor uns ins Sandfeld. Immer wiederholte sich das schreckliche Schauspiel. Mit fieberhafter Eile hatten die Männer daran gearbeitet, Brunnen zu erschließen, aber das Wasser ward immer spärlicher, die Wasserstellen seltener. Sie flohen von einer zur anderen und verloren fast alles Vieh und sehr viele Menschen. Das Volk schrumpfte auf spärliche Reste zusammen, die allmählich in unsere Gewalt kamen, Teile entkamen jetzt und später durch das Sandfeld in englisches Gebiet. Es war eine ebenso törichte wie grausame Politik, das Volk so zu zertrümmern, man hätte noch viel von ihrem Herdenreichtum retten können, wenn man sie schonte und wieder aufnahm, bestraft waren sie genug. Ich schlug dies General von Trotha vor, aber er wollte ihre gänzliche Vernichtung.

Er war ein schlechter Staatsmann, wie er als Führer im Kriege nicht ausreichte und dazu ein unedler, selbstsüchtiger und kaltherziger Mensch. Wissmann, der ihn von Ostafrika her kannte, hatte sich seiner Ernennung widersetzt, aber er ward nicht gehört. […]

Ich hatte die undankbare Aufgabe, den Flüchtlingen in das Sandfeld nachzustoßen und dann ihre Rückkehr zu verhindern. Ganz konnte es nicht geschehen, denn viele stahlen sich einzeln und in kleinen Trupps an uns vorbei.

 

Quelle 3 | Zusatzmaterial |  Christian Döhler (1882-1948) war einfacher Soldat der Schutztruppen. Er führte Tagebuch über die Schlacht am Waterberg. | zitiert nach: Jürgen Petschull: Der Wahn vom Weltreich. Die Geschichte der deutschen Kolonien, Hamburg 1984, S. 92ff.

Bei Tagesgrauen stießen wir auf die ersten Vorposten der Hereros. […] Wir merkten bald, dass die Hereros auch besser schießen konnten, als nach einer halbstündigen Schießerei die ersten Verluste eintraten. Wir erwiderten das Feuer, konnten aber beim besten Willen keinen Gegner erkennen. Gegen 10.30 Uhr kamen die ersten Maschinengewehre, durch ihre Bedienungsmannschaften vorgetragen, an. Nun wurden die Büsche erst einmal abrasiert und zu Kleinholz geschossen, damit man Schussfeld hatte. Da sahen wir zum ersten Mal unseren Gegner. Dieser lag nicht wie wir in einer Schützenlinie, sondern tief bis zu 100 Meter gestaffelt. Wenn bei uns ein Mann ausfiel, so war gleich ein Gewehr weniger. Anders bei den Hereros: fiel dort einer, war sofort Ersatz da, der das Gewehr nahm. Sie hatten viele Mausergewehre, aber auch alte Vorderlader. Aus letzteren schossen sie mit selbst angefertigter Munition, so dass die Ärzte bei Verwundeten die wunderlichsten Gegenstände herausschnitten. Kurz nach 11 Uhr versuchte Hauptmann Gansser einen Sturmangriff mit der 11. Kompanie, er selbst fiel dabei durch einen Kopfschuss. Die 11. Kompanie, geriet dadurch in größte Verwirrung, und es klaffte an ihrer Stelle eine bedenkliche Lücke. Nur durch die Geistesgegenwart von Sergeant Knauert, der einen Zug um sich sammelte, wurde das Schlimmste verhindert . . . Um 5 Uhr schickte mich der Hauptmann mit einer Meldung zur Führung. Trotha fand ich im ernsthaften Gespräch mit seinem Stab, selber einen Karabiner in der Hand haltend. Ehe ich meine Meldung machen konnte, kam blutüberströmt und splitterfasernackt ein weißer Mann aus dem Busch auf den Stab zugerannt, vollkommen verstört, dauernd um und hinter sich blickend und unzusammenhängende Worte ausstoßend. Dieser Mann war der einzige Überlebende der Patrouille […]. Es war ein äußerst erbittertes Gefecht gewesen. Der Feind verteidigte nicht nur seinen Reichtum an Vieh usw., sondern er wusste genau, was ihm blüht, wenn es ihm nicht gelang, wieder nach Okahandja durchzubrechen, sondern mit Sack und Pack ins wasserlose Sandfeld entfliehen musste…

Am 12. bei Tagesgrauen nach einer fürchterlich kalten Nacht entdeckten wir, dass kein Herero mehr vor uns lag, sie waren bei der Abteilung von der Heyde durchgebrochen und mit allem, was sie hatten, in Richtung Sandfeld verschwunden. An diesem Tage bekamen wir endlich wieder Verpflegung, beerdigten unsere Toten und machten einen Ruhetag, abends traten wir den Verfolgungsmarsch an. […] Major von Mühlenfels hielt eine Ansprache: „Es wird ein harter Marsch werden, wer schlapp macht, bleibt liegen und seinem Schicksal überlassen, es darf kein zweiter Mann bei ihm bleiben.“ […] Es wurde aber marschiert, marschiert, marschiert. Anhalten gab’s nicht, warten auf Ausgetretene erst recht nicht. Also, schnell! Außerdem ließ der Durchfall auch nicht viel Zeit. Doch der Soldat ist erfinderisch. Wir schnitten die Mittelnaht unserer Hosen auf und im Nu war das Geschäft, wenn’s sein musste, erledigt. Allmählich wurde es Tag, wir aber marschierten, marschierten. Gegen 10 Uhr passierten wir ein Wasserloch, das voll von verrecktem Vieh lag. Unser Major stand mit der Browning in der Hand daneben und hätte bestimmt jeden über den Haufen geschossen, der es gewagt hätte, von dem verseuchten Wasser zu trinken. Was das bedeutet, nach so einem Marsch in fürchterlichem Staub an Wasser vorbeiziehen zu müssen, ohne trinken zu dürfen, kann nur der ermessen, wer sowas mitgemacht hat!