Ermächtigungsgesetz | Quellen

Dieses Modul befindet sich in Bearbeitung!

Die Quellen gehören zum Modul Ermächtigungsgesetz 1933

 

Reden von Otto Wels, Adolf Hitler, Ludwig Kaas, Reinhold Meier vom 23. März 1933

 

Quelle 1 | Otto Wels, SPD-Fraktionsvorsitzender | zitiert nach: J. u K. Hochfeld: Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Bd. 4, Berlin o.J., S. 38 ff.

Nach den Verfolgungen, die die sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit ist die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. Kritik ist heilsam und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. […] Die Herren von der nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten. […] Wollen die Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie brauchen sie kein Ermächtigungsgesetz. […]

Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns […] zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.

 

Quelle 2 | Wilhelm Hoegner, SPD-Abgeordneter | zitiert aus: W. Hoegner: Flucht vor Hitler, Frankfurt 1979, S. 98.

Als wir uns daraufhin in kleinen Gruppen zur Krolloper* begaben, fanden wir den weiten Platz davor, die Molktestraße und Zeltallee mit schwarzen Menschenhaufen bedeckt. Wilde Sprechöre empfingen und begleiteten uns: „Wir wollen das Ermächtigungsgesetz, sonst gibt es Feuer!“ Junge, Burschen, Hakenkreuzabzeichen an der Brust, musterten uns frech, versperrten uns schier den Weg und riefen uns Schimpfworte wie „Zentrumsschwein!“ oder „Marxistensau“ zu. […]

In der Krolloper wimmelte es von SA und SS. Wir erfuhren beim Eintritt in das Gebäude, dass Severing** verhaftet worden war. […] Unsere Sitze befanden sich, da kommunistische Angeordnete nicht anwesend waren, auf der äußersten Linken. Als wir sie eingenommen hatten stellten sich SA- und SS-Leute an den Eingängen und Wänden hinter uns im Halbkreis auf. Ihre Mienen ließen nichts Gutes erwarten.

 

Quelle 3 | Adolf Hitler | zitiert nach: Werner Conze: Der Nationalsozialismus 1919-1933. Stuttgart 1983, S. 70f.

Ein Teil der beabsichtigten Maßnahmen erfordert die verfassungsändernde Mehrheit. Die Durchführung dieser Aufgaben bzw. ihre Lösung ist notwendig. Es würde dem Sinn der nationalen Erhebung widersprechen und den beabsichtigten Zweck nicht genügen, wollte die Regierung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall die Genehmigung des Reichstags erhandeln und erbitten. Die Regierung wird dabei nicht von der Absicht getrieben, den Reichstag als solchen aufzuheben; im Gegenteil, sie behält sich auch für die Zukunft vor, ihn von Zeit zu Zeit über ihre Maßnahmen zu unterrichten oder aus bestimmten Gründen, wenn zweckmäßig, auch seine Zustimmung einzuholen. Die Autorität und damit die Erfüllung der Aufgaben der Regierung würden aber leiden, wenn im Volke Zweifel an der Stabilität des neuen Regiments entstehen könnten. Sie hält vor allem eine weitere Tagung des Reichstags im heutigen Zustand der tiefgehenden Erregung der Nation für unmöglich. Es ist kaum eine Revolution von so großem Ausmaß so diszipliniert und unblutig verlaufen wie diese Erhebung des deutschen Volkes in diesen Wochen. Es ist mein Wille und meine feste Absicht, für diese ruhige Entwicklung auch in Zukunft zu sorgen. Allein um so nötiger ist es, daß der nationalen Regierung jene souveräne Stellung gegeben wird, die in einer solchen Zeit allein geeignet ist, eine andere Entwicklung zu verhindern. Die Regierung beabsichtigt dabei, von diesem Gesetz nur insoweit Gebrauch zu machen, als es zur Durchführung der lebensnotwendigen Maßnahmen erforderlich ist. Weder die Existenz des Reichstags noch des Reichsrats soll dadurch bedroht sein.

 

Quelle 4 | Der Völkische Beobachter (Tageszeitung, Parteiorgan der NSDAP) vom 22.03.1933 | zitiert nach: Die Nationalsozialistische Machtergreifung, in: Geschichte betrifft uns (2000) Nr. 4, S. 24

Wenn der Reichstag der Regierung Hitler nicht mit der erforderlichen Mehrheit das Mandat zur ungestörten Aufbauarbeit bestätigen will, dann werden die unausbleiblichen Folgen eines solchen parlamentarischen Rückfalles von denjenigen Parteien selbst verantwortet werden müssen, die die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden haben. Daß die Regierung Hitler entschlossen ist, das Mandat des Volkes, das sie besitzt, nicht parteipolitischer Unvernunft preiszugeben, ist selbstverständlich.

Der Reichstag entscheidet diesmal nicht über das Schicksal der Regierung, sondern über das Wohl und Wehe der Parteien selbst, deren Zukunft in ihre eigenen Hände gegeben ist. Die Parteien mögen sich keiner Täuschung darüber hingeben, daß die Nichtannahme des Ermächtigungsgesetzes eine Kampfansage bedeuten würde, die von der Regierung aufgenommen wird. Man darf daher erwarten, daß nicht nur das Interesse des Volkes, sondern auch das Gebot der Klugheit und Selbsterhaltung von denjenigen Parteien verstanden wird, die es angeht.

 

Quelle 5 |  Ludwig Kaas (Zentrum) | zitiert aus: Ursachen und Folgen, Bd. IX, S. 148 f.

Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der Deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern, die Wiederherstellung eines geordneten Staats- und Rechtslebens zu beschleunigen, chaotischen Entwicklungen einen festen Damm entgegenzusetzen, zusammen mit allen […], die ehrlichen, auf Aufbau und Ordnung gerichteten Willens sind […]. Manche der von Ihnen, Herr Reichskanzler, abgegebenen sachlichen Erklärungen geben […] bezüglich einzelner wesentlicher Punkte des deutschen Staats-, Rechts- und Kulturlebens […] die Möglichkeit, eine Reihe wesentlicher Bedenken, welche die zeitliche und sachliche Ausdehnung des Ermächtigungsbegehrens bei uns ausgelöst hatte und auslösen musste, anders zu beurteilen. In der Voraussetzung, dass diese […] Erklärungen die grundsätzliche und praktische Richtlinie für die Durchführung der zu erwartenden Gesetzgebungsarbeit sein werden, gibt die Deutsche Zentrumspartei ihre Zustimmung.

 

Quelle 6 | Protokoll einer Sitzung der Zentrumsfraktion (23. März 1933, 11:15 Uhr) | zitiert nach: Morsey, Rudolf: Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, Göttingen 1968, S. 26-27.

Dr. Kaas erstattet Bericht über die Besprechungen, die er […] mit Reichskanzler Hitler gehabt hat. Er habe ihm erklärt, das Ermächtigungsgesetz sei für die Partei nur tragbar, wenn gewisse Zusicherungen gegeben würden. Es müsse für die Gesetzgebung der Reichstag eingeschaltet bleiben. Auf gewisse Einzelgegenstände könne das Ermächtigungsgesetz keine Anwendung finden. Es sei von Reichskanzler Hitler zugesagt worden, daß keine Maßnahmen gegen den Willen des Reichspräsidenten durchgeführt würden. […]

Im Anschluss weist Dr. Kaas auf die schwierige Stellung der Fraktion im gegenwärtigen Augenblick hin. Es gelte einerseits unsere Seele zu wahren, andererseits ergäben sich aus der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes unangenehme Folgen für die Fraktion und die Partei. Es bliebe nur übrig uns gegen das Schlimmste zu sichern. Käme die 2/3- Majorität nicht zustande, so werde die Durchsetzung der Pläne der Reichsregierung auf anderem Wege erfolgen. […]

Sicherheiten für die Erfüllung der Zusagen der Regierung seien nicht gegeben worden. Entscheidend sei, welche Kreise der NSDAP in Zukunft die Macht haben. Wachse Hitlers Macht oder scheitere er, das sei die Frage. Das Ermächtigungsgesetz sei das Ungeheuerlichste, was je von einem Parlament gefordert worden wäre.

 

Quelle 7 |  Reinhold Meier, Abgeordneter der Deutschen Staatspartei (DstP) | Josef u- Ruth Becker: Hitlers Machtergreifung. Dokumente vom Machtantritt Hitlers, 30. Januar 1933, bis zur Besiegelung des Einparteienstaates, 14. Juli 1933, München 1992, S. 177.

Wir leugnen auch keineswegs, dass Notzeiten besondere Maßnahmen erfordern, und haben deswegen wiederholt Ermächtigungsgesetze und Notverordnungen gutgeheißen. Wir verstehen, dass die gegenwärtige Regierung weitgehende Vollmachten verlangt, um ungestört arbeiten zu können. Wenn wir gleichwohl in dieser so ernsten Stunde uns verpflichtet fühlen, Besorgnisse zum Ausdruck zu bringen, so gehen wir davon aus, dass auch der jetzigen Regierung eine sachliche und loyale Kritik ihrer Maßnahmen nicht unerwünscht sein wird. Wir vermissen in dem vorliegenden Gesetzesentwurf, dass den verfassungsmäßigen Grundrechten und den Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung keine ausdrückliche Sicherung vor Eingriffen gegeben wurde. Unantastbar müssen vor allem bleiben die Unabhängigkeit der Gerichte, das Berufsbeamtentum und seine Rechte, das selbstbestimmende Koalitionsrecht der Berufe, die staatsbürgerliche Gleichberechtigung, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft wie ihre Lehre. Diese Werte sind Grundelemente jedes Gemeinschaftslebens in einem geordneten Rechtsstaat. Gerade sie wurden durch die Verfassung von Weimar aus der alten deutschen und aus der alten preußischen staatlichen Tradition gerettet, und sie dürfen heute wie vor 14 Jahren nicht gefährdet werden.

Im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung werden wir unsere ernsten Bedenken zurückstellen und dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.

Quelle 8 |  Reinhold Maier erinnert sich an die Umstände der Reichstagsitzung vom 23 März 1933 | zitiert nach: Morsey, Rudolf: Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, Göttingen 1968, S. 76-77.

Schließlich ist auch eine Reichstagssitzung, bei der im Sitzungssaal auf einen einzigen, den Regierungsparteien nicht angehörigen Abgeordneten je zehn bis an die Zähne bewaffneten SA- und SS-Männer aufgestellt sind, keine legale Institution mehr. […] Kein Mensch konnte die Möglichkeit ausschließen, daß die Nationalsozialisten bei ihrem wilden Siegeszug zwar gegen allen Anschein doch noch stolpern und fallen. […]

Die Reichstagssitzung vom 23. März stand eindeutig unter dem Zeichen, daß ein blindwütiger Terror, falls nötig und erwünscht, in jedem Augenblick vom Stapel gehen konnte.